Alle Fotos: Julian Haas
Etwas mehr als die Hälfte des diesjährigen Frequencys ist vergangen, und ich verfalle bereits wieder in alte Festival-Verhaltensmuster. Meine Campingplatzerlebnisse vom Vortag waren derartig schön und heimelig, dass ich mich auch am Tag drei wieder zwischen halbkaputten Zelten, Bierdosenbergen und Menschen, die mit Klebeband an Campingsesseln gefesselt sind, wiederfinde. Erst als ich aus weiter Entfernung die Stimmen von tausenden Menschen „Alle ham nen Job, ich hab Langeweile!“ johlen höre, wird mir bewusst, dass Marteria schon längst auf der Space Stage zu spielen begonnen hat.
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Ich lasse mein Dosenbier stehen und laufe so schnell ich kann im zickzack durch die Besoffenen, direkt in Richtung Hauptbühne. Dort angekommen, bin ich als erstes einmal baff, wie viele Leute sich für den aktuellen Deutschrap-Partykönig versammelt haben. Und Marteria hat die für diese Uhrzeit echt ungewöhnlich große Menschenmenge ganz fest in seinem Griff. Ähnlich fest wie ein Macklemore zwei Tage zuvor. Mein Sprint hat sich ausgezahlt. Und weil die Party auf der Space Stage nun schon im vollen Gange ist, beschließe ich, meinen restlichen Tag einfach hier zu verbringen. Da Pete Doherty wiedermal irgendwas besseres zu tun hat, als auf dem Frequency zu spielen, und die Babyshambles ihren Auftritt auf der Green Stage daher abgesagt haben, mache ich mir wirklich keine Sorgen, dort drüben irgendetwas zu verpassen.
Was mich dann gegen Abend auf der Space Stage erwartet, haut mich ganz unerwartet völlig aus den Socken. Beinahe wäre der Auftritt des Belgiers Stromae unter meinem Line-Up Radar durchgeflogen. Und meine Güte, bin ich froh dass ich ihn mir jetzt doch ansehe. Dieser hagere, französisch singende und rappende Junge in Cardigan und Stutzen ist ganz sicher der größte Showman, den man dieses Jahr, bis zu diesem Punkt auf einer Frequency-Bühne gesehen hat. Die Show ist aber auch musikalische Sonderklasse. Einflüsse aus 90er-House, Techno und aktuellem Hip Hop, und nichts davon scheint Stromae auch nur irgendwie schwer zu fallen. Jeder der meint, dass elektronische Musik live nicht so viel hergeben kann wie analoge, würde hier eines besseren belehrt werden.
Obwohl mir ein paar der Campingplatz-Ureinwohner angedroht haben, mich zu verprügeln, sollte ich mir Lily Allen statt Ska-P anschauen, entscheide ich mich, weiter hier vor der großen Bühne zu bleiben. Ich erwarte von Lily nämlich eine ordentlich provakante und verrückte Show. Immerhin, sie war gerade erst mit Miley Cyrus auf der berühmtberüchtigten Bangerz-Tour unterwegs, alle haben sich alle über die twerkenden schwarzen Mädchen in ihrem „Hard out Here“-Musikvideo aufgeregt, und sie hat ihr neues Album in Anspielung auf die letzte LP des omnipräsenten Kanye West „Sheezus“ betitelt. Wenn du mich fragst, stinkt das doch nach einer provokanten Show. Aber so sehr ich es auch versuche, nichts an Lily Allens Show fasziniert oder provoziert mich. Lily schleicht in ihrem Spice Girls-Outfit von links nach rechts und leiert halb- oder eher viertelherzig ihre Hits herunter. Würden da nicht dutzende volkschulkindgroße Babytrinkfalschen stehen, die in allen erdenklichen Farben leuchten, würde auf der Bühne eigentlich gar nichts passieren. Nicht einmal der konservativste Konzertbesucher dürfte sich von hier von irgendetwas provoziert fühlen. Ich frage mich, ob ich die Prügel der Campingplatzbewohner vielleicht wirklich verdient hätte.
Mir ist nach zwanzig Minuten langweilig, ich hole mir Bier, um für Skrillex in Fahrt zu kommen. Skrillex. Es ist immer wieder lustig, wie dieser Name bei manchen, eher elitäreren Musikfans gerümpfte Nasen und verärgertes Gefluche auslöst. Mittlerweile scheinen aber immer mehr Leute akzeptiert zu haben, dass sein hyperaktiver Dubstep-Rave-Hybridsound zum musikalischen Universum halt einfach dazugehört. Ich persönlich habe diesen Sonny Moore immer für einen hochtalentierten Burschen gehalten, und freue mich auf den Eskalationszustand, der hier gleich bei der bisher wahrscheinlich bis dato größten Menschenmenge Einzug halten wird. Als die Show beginnt, bin ich einen kurzen Moment enttäuscht, dass Skrillex Raumschiff und Live-Show, die er am Urban Art Forms vor zwei Jahren dabei hatte, daheim gelassen hat, und wir uns diesmal mit einem DJ-Set begnügen müssen. Die Enttäuschung ist aber schnell weg, denn der Mann massakriert seine CD-Player regelrecht. Von Dubstep über Techno zu Trap, weiter zu House und wieder zurück zu Dubstep. Daft Punk, Beasty Boys, Nero, Schoolboy Q. Skrillex watscht uns im Dreißigsekundentakt von einer elektronischen Musikrichtung in die nächste, und man weiß als Zuschauer teilweise überhaupt nicht mehr, wie einem gerade geschieht. Es ist das hektischste, aber auch gekonnteste und technischste DJ-Set, das ich seit langer, langer Zeit gesehen habe. Eine riesengroße Crowd ravet sich bei einer ziemlichen Arschkälte in St. Pölten heiß.
Für viele wird Skrillex immer der kleine, hässliche EDM-Knirps bleiben, der Dubstep für immer ruiniert hat. Wer aber auch nur irgendetwas mit seiner musikalischen Welt anfangen kann, dürfte nach seinem Set zufrieden sein. Ich bin es jedenfalls, auch wenn ich meine Beine danach nicht mehr so wirklich spüren kann. Ich flüchte mich zurück zu meinen Campingplatzfreunden, und hebe mir die letzte Kraft für den Showdown am Frequency-Tag Vier auf.
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