Der Putsch von Bogotá

Zehntausende versammeln sich auf dem Plaza Bolívar; Foto von Jonas Brander

Es sind Menschen aus allen Schichten Kolumbiens: Studenten und Rentner, gutgekleidete Männer in Anzügen sowie Arbeiter der Müllabfuhr, die seit Tagen auf dem größten Platz Kolumbiens zusammenkommen und ihrer Wut in Sprechchören Luft machen. Sogar Indigene und Teile der armen Bevölkerung Bogotás ziehen auf ihren Pferdekutschen zur Demonstration, Menschen, die sonst in Kolumbien selten auf die Straße gehen. Bewaffnet mit zu Trommeln umfunktionierten Kochtöpfen und Benzinkanistern, Tröten und Pfeifen, schaffen sie die Geräuschkulisse eines Fußballstadions. The Guardian sprach von über 40 000 Demonstranten und heute ist mit einem noch größerem Ansturm zu rechnen. Unter anderem hat sich die nationale Organisation der Indigenen Kolumbiens (ONIC) mit Petro solidarisiert und etliche Mitglieder der Guardia Indígena sind auf dem Weg nach Bogotá, um an der Großdemonstration teilzunehmen. Was treibt die Menschen auf die Straßen? Was ist passiert, dass sich mehrere Tage hintereinander Zigtausende versammeln?

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Arme Arbeiter demonstrieren neben Bankern für die Demokratie; Foto von Antonia Zennaro

Das Bürgermeisteramt Bogotás gilt nach dem Präsidenten Kolumbiens als der einflussreichste politische Posten des Landes. Umso bemerkenswerter, dass 2011 mit Gustavo Petro ein Ex-Mitglied der kolumbianischen Guerilla Organisation M-19 zum Bürgermeister gewählt wurde. Und umso verständlicher, dass er der rechten politischen Elite Kolumbiens ein Dorn im Auge ist. Vor allem, da sich Petro mit Sozialprogrammen hervortat und, noch wichtiger, durch Verstaatlichungen und der Ankündigung der Schließung der Minen im ärmsten Stadtteil Ciudad Bolívar die wirtschaftlichen Eliten gegen sich aufbrachte.

Am Montag den 9. Dezember gab der oberste nationale Staatsanwalt (und rechts-konservative Politiker) Alexandro Ordóñez bekannt, dass Gustavo Petro ab sofort seines Amtes enthoben und für die nächsten 15 Jahre aus der Politik verbannt wird. Die offizielle Begründung ist, dass Petro bei der Verstaatlichung der Müllabfuhr Fehler begangen, respektive dass er damit die verfassungsrechtlichen Prinzipien kommerzieller Freiheit verletzt habe. Die kolumbianische Verfassung gibt dem obersten Staatsanwalt das Recht, den zweiteinflussreichsten Politiker und die wahrscheinlich aktuell wichtigste linke Führungsperson des Landes, aus der politischen Sphäre zu verbannen. Für die nächsten 15 Jahre. Und ja, richtig: wegen der Müllabfuhr.

Allerdings wird das Amt des Staatsanwalts so ad absurdum geführt: Diese Machtbefugnisse wurden einst geschaffen um die Demokratie vor korrupten Politikern zu schützen, dienen heute aber offensichtlich dazu politische Gegner gegen den Willen der Wähler zu eliminieren. In der Tat herrschte im Dezember 2012 in der 8 Millionen Stadt Bogotá für einige Tage eine chaotische Müllsituation und Petro hat dabei wohl politische Fehler begangen. Allerdings kam am Mittwoch ans Tageslicht, dass dieses Chaos Teil eines Komplotts der privaten Entsorgungsfirmen war, um Pedro später aus dem Weg zu schaffen.

Petro spricht vom Balkon aus zu seinen Anhängern; Foto von Katja Tauber

Petro selbst rief zum friedlichen Widerstand auf und akzeptierte seine Amtsenthebung nicht. Über Twitter schrieb er am Montag: „Ich bleibe Bürgermeister von Bogotá”, und bezeichnet die Vorgänge als „coup d’état”. Fragt man die Demonstranten ungläubig, ob das wirklich alles passiert, antworten sie: „Klar, das ist normal hier, so läuft das immer”, ein anderer wirft ein: „Werden die linken Politiker hier zu mächtig oder unangenehm, sägt man sie ab. Oder sie werden umgebracht”. 

Während Petro am Montag zu den Demonstranten noch von der politischen Verfolgung und systematischen Ermordung der Linken in Kolumbien sprach, war seine Rede am Dienstag emotionaler, kämpferischer und mit dem Blick nach vorne. Wieder bekräftigt er seinen Beschluss, das Amt nicht zu räumen und nennt die Zusammenkunft auf dem Plaza Bolívar einen historischen Moment. Kolumbien heute sei ein Kolumbien für Frieden und Demokratie und man werde nicht einfach gehen. Minutenlange „Petro no se va” (Petro geht nicht) Sprechchöre folgen seinen Worten. Mehrfach ruft Petro seinen Anhängern zu, dass er ohne jede Korruption regiert habe und falls seine Absetzung nicht zurückgenommen werde, Bogotá zurück in die Zeiten von Chaos und Korruption falle.

Die Wut ist groß unter den Demonstranten; Foto von Jonas Brander

Immer mehr Hinweise verdichten sich, dass Álvaro Uribe, Präsident Kolumbiens von 2002-2010, einer der Drahtzieher der Absetzung Petros sein könnte. Uribes politische Nähe zu Ordóñez ist allgemein bekannt. Unter anderem verbindet beide ihre radikale Ablehnung der aktuell laufenden Friedensprozesse mit der Guerillagruppierung FARC; die Absetzung Petros wird von vielen Seiten auch als geplante Torpedierung dieser Friedensverhandlungen interpretiert. Nachdem Uribe selbst nicht mehr als Präsident kandidieren darf, führt er mittlerweile seine eigene Partei an, die mit sehr guten Chancen in die Präsidentschaftswahlen 2014 geht. Gustavo Petro deckte 2007 im Kongress Uribes Verbindung zu paramilitärischen Killerkommandos auf und machte sich damit zu dessen größtem politischen Feind.

Die Paramilitärs sind in Kolumbien für tausende Vertreibungen und Massaker verantwortlich und waren bis vor kurzem für ihre Vorliebe bekannt, mit abgehackten Köpfen Fußball zu spielen. Uribe konnte trotz zahlreicher Indizien und Verstrickungen bis heute nicht offiziell belangt werden.

Generell zeigt sich die kolumbianische Justiz im Falle der Paramilitärs und deren Verbindungen zu konservativen Politkern sehr oft zu gütig, wie etliche Menschenrechtsorganisationen seit Jahrzehnten beklagen. Und damit schließt sich der Kreis zu Oberstaatsanwalt Alejandro Ordóñez, dem vorgeworfen wird, auf dem rechten Auge blind zu sein und gegen linke Politiker zu drastisch vorzugehen.

In seiner ersten Amtszeit mussten 828 Bürgermeister ihren Posten räumen und die linksliberale Senatorin Piedad Cordoba, eine der aktivsten Vertreterinnen des Friedensprozesses, wurde für 18 Jahre aus dem politischen Leben verbannt. Neben seiner Tätigkeit als Oberstaatsanwalt zeichnet sich Ordóñez als ultra-konservativer Katholik aus, der gegen Kondome, Abtreibung und Homo-Ehe hetzt und sich in seiner Jugend mit der Verbrennung von Büchern hervortat.

Tausende ballen ihre Faust für Frieden und Demokratie; Foto von Katja Tauber

Der Versuch des politischen Mordes an einem der aufstrebenden linken Politiker des Landes ist also nur der Spitze des Eisberges eines großen Justiz- und Korruptionsproblems. Fraglich ist allerdings, ob eine derartige Farce selbst in einem Land wie Kolumbien aufrechterhalten werden kann. Petro hat die Entscheidung auf dem Rechtswege angefochten, Untersuchungen sind eingeleitet und das Ergebnis bleibt abzuwarten. Mittlerweile hat der Fall auch die Aufmerksamkeit der UN erhalten, welche um ein Gespräch mit Ordóñez bitten.

Die Menschen auf der Straße wirken jedenfalls nicht so, als würden sie die Entscheidung in naher Zukunft akzeptieren. Ebensowenig Petro selbst, der seine Rede immer wieder aufgrund minutenlanger „Petro se queda!” (Petro bleibt) Sprechhöre unterbrechen muss. Es scheint also zwei Möglichkeiten zu geben: die Rechte um Uribe und Ordóñez behauptet sich im Machtkampf und Petro bleibt abgesetzt. In diesem Fall ist mit verstärkten und landesweiten Protesten zu rechnen.

Oder die Entscheidung wird aufgehoben oder gemildert. Dann könnte Petro gestärkt aus dieser Affäre hervorgehen und zu einem ernstzunehmenden Kandidaten für eine zukünftige Präsidentschaft Kolumbiens werden. Denn bereits heute schreien abertausende auf dem Plaza Bolivar „Petro, presidente!”.